Wer war Louise Aston?(1814-1871)

von Heiner Jestrabek

 

Eine zu unrecht vergessene Vorkämpferin für Frauenrechte und Geistesfreiheit

Louise Aston, geborene Hoche (26.11.1814 in Gröningen bei Halberstadt/Preußen – 21.12.1871 in Wangen im Allgäu) war Lyrikerin, Publizistin, Frauenrechtlerin und Anhängerin des Frühsozialisten Saint-Simon, Aktivistin der 1848/49-Revolution und ein leidenschaftliche Freidenkerin.  

Als Tochter eines Konsistorialrats, musste sie 1835 gegen ihren Willen eine Konvenienzehe mit dem in Magdeburg lebenden englischen Dampfmaschinenfabrikanten Samuel Aston eingehen. Schon 1838 folgte die Scheidung. Nach einer zweiten Ehe, drei Töchtern und einer weiteren Scheidung, zog sie mit der Tochter Jenny 1845 nach Berlin.

 

In Berlin war sie aktiv in oppositionellen Gesellenvereinen, bei den der religiösen Aufklärung verpflichteten Lichtfreunden [1] und im philosophischen Kreis Der Freien [2], mit denen sie sich in deren Versammlungsort, der Hippel‘sche Weinstube (auch genannt „Anarchistenklub“), traf. Zudem versammelte Louise Aston um sich einen Kreis junger Literaten, die sich jeden Mittwoch bei ihr zu einem Literarischen Salon einfanden.

 

Otto von Corvin [3] schilderte sie nach persönlichen Begegnungen:

 

„Ich lernte damals in Berlin manche interessanten Personen kennen ... Eine davon ist Louise Aston, bekannt als Schriftstellerin, Freischärlern und Verteidigerin weiblicher Selbstständigkeit. Sie war eine Helds, und dieser machte mich mit ihr bekannt. Sie mochte damals dreißig Jahre alt sein, ist blond und trug ihr Haar in vielen kleinen Locken, wie man es sonst à la neige nannte, und was zu ihrem hübschen, zarten Gesicht ganz allerliebst stand. Ihre Figur war eher groß als klein zu nennen und ihre ganze Erscheinung die einer eleganten Frau. Aus ihren schönen, blauen Augen sprach viel Geist und Gefühl. Der Ton ihrer Stimme legte sich Schmeichelnd an das Ohr, ja es war rührend, besonders wenn sie Leidende spielte, in welcher Rolle sie sich gefiel ...

Sie ist eine begabte Dichterin und ihre fair. Sprechen mich bei weitem mehr an als ihre Romane.... Louise Aston sagt: es ist gemein, ewig diesen Unterschied zwischen Mann und Frau hervorzuheben und durchaus ungerecht, auf die bloßen geschlechtlichen Unterschiede Vorrechte zu begründen. Sie ist der Apostel der freien Liebe und behauptet, dass eine Frau, die sich an jedem Mann hingibt, verächtlicher ist als ein Mann, der eine jede recht ist; und wie man einen Mann nicht verdauen könne, der nach dem Besitz eines schönen und berühmten oder ist interessanten Weibes trachte, so könne man ebenso wenig eine Frau verdammen, die sich Männern hingibt, von denen sich Genuss verspricht.“

 

Louise Aston lernte den Dichter Rudolf Gottschall (1823-1909) kennen, der ihr direkt sein Drama Madonna und Magdalena widmet, ein Drama mit Katholizismuskritik und Blasphemie, v.a. aber ein Plädoyer für freie Liebe:

 

Die freie Liebe wird die Welt befreien.

Ihr sollt dem alten Schreckgespenst der Schande

Nicht länger der Entsagung Tränen weihn.

Die Kinder dieser Welt, nicht spröde Nonnen,

Sind unsere neuen, heiligen Madonnen.

 

Louises Antwort darauf drückte sich in ihrem aus in ihrem

 

Lebensmotto

Fromme Seelen, fromme Herzen,

Himmelssehnend, lebenssatt;

Euch ist rings ein Thal der Schmerzen,

Eine finst're Schädelstatt!

Mag in schreckenden Gesichten

Bang vor mir das Schicksal steh'n;

Nie soll mich der Schmerz vernichten,

Nie zerknirscht und reuig seh'n!

Freiem Leben, freiem Lieben,

Bin ich immer treu geblieben!

(aus: Wilde Rosen)

Ihren Lebensunterhalt verdiente Louise Aston sich mit Schriftstellerei. 1846 wurde ihr erster Gedichtband Wilde Rosen veröffentlicht. Die Themen ihrer zwölf Gedichte waren persönliche Erlebnisse und Erfahrungen, ebenso wie die Ideen des utopischen Sozialismus der Saint-Simonisten. Sie forderte die „Emanzipation des Fleisches“ auch für Frauen. Ihr freimütiges Bekenntnis zu freier, sinnlicher Liebe, begründete ihren Ruf als Femme scandaleuse und als Emanzipierte. Louise Aston entwickelte sie sich zu einer der konsequentesten Frauenrechtlerinnen des 19. Jahrhunderts. Daneben lernte sie hautnah die soziale Not der Arbeiter Berlins kennen, die sie in ihrem autobiographischen Roman Aus dem Leben einer Frau (1847) thematisierte. Ihr zentrales Thema blieb aber die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

 

„Ich will vor Sünde und Kreuz bewahrt,

Stark durch des eigenen Geistes Ringen,

Mich aus Fesseln und Banden schwingen

Auf zu begeisterter Himmelfahrt!"

(aus: Nachtphantasien)

 

Ein Bericht eines Polizeispitzels Goldheim vom 10.1.1846 „Betreffend das Leben und Treiben der separierten Aston und der Emanzipationsvereine“ führte aus:

 

„In ihrem äußeren Treiben namentlich in letzter Zeit, wo sie in einem eng vertrauten und unmoralischen Verhältnis mit dem bekannten Liederdichter Gottschall aus Königsb[berg] lebte, hat die Aston besonders gesucht, sich in der Öffentlichkeit im Gebiete der Politik bemerklich zu machen. So hat sie im verflossenen Sommer an den Landpartien des Gesellenvereins, als an dem Treiben der Lichtfreunde eifrigen Anteil genommen. Durch den näheren Umgang mit Literaten ist sie in ihrer Richtung noch überspannter geworden und affritiert [probiert] nun Kommunismus und Emanzipation, welches letztere ihr namentlich zustatten kommt, da sie als ein freches raffiniertes Frauenzimmer, der es an natürlichem Verstande und Gewandtheit nicht fehlt, dadurch vielseitig im Verkehr an öffentlichen Orten, wie Weinhäusern, Restaurationen pp. Gelegenheit bekommt, mit Männern in Berührung zu kommen ... So hat sie nicht selten mit Gottschall Exkursionen in Männerkleidern  nach verschiedenen Kneipen gemacht und ursprünglich einen Emanzipationsverein von rauen durch ihr Beispiel ins Leben gerufen ...“

 

Louise Astons Nonkonformismus (sie trug sie wie George Sand Männerkleidung und ging mit einer Zigarre rauchend Unter den Linden spazieren) und ihre unverhohlene Kritik an den organisierten Religionen, führten 1846 zu ihrer Ausweisung aus Berlin als „staatsgefährliche Person“, die „Ideen geäußert und ins Leben rufen wolle, welche für die bürgerliche Ruhe und Ordnung gefährlich seien.“ „Ohne Scheu“ habe sie bei der Vernehmung erklärt, „sie glaube nicht an Gott und rauche Zigarren. Sie beabsichtige die Frauen zu emancipieren und sollte es ihr Herzblut kosten. Sie halte die Ehe für ein unsittliches Institut und erst, wenn der Glaube an Gott und das Institut der Ehe fortfalle, würden die Menschen glücklich sein.“

Sie beschrieb diese Vorgänge dann auch in dem Buch Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung. Sie legt darin alle ihre freiheitlichen Ansichten offen aus, u.a.:

 

„Mein Glaubensbekenntnis ist ferner in religiöser Beziehung abweichend von dem offiziellen Glauben des Staates. Dies würde nur dann ein Verbrechen sein, wenn ich Missionäre für meine Ideen Welt schickte oder die Thesen eines neuen Glaubens an den Kirchentüren anschlüge. Sonst ist dies Glaubensbekenntnis meines Herzens Heiligtum, und ich beging ein Verbrechen gegen mich selbst, als ich leichtsinnig der Gewissenspolizei den Zutritt dazu eröffnete ... Ob ich dabei einen persönlichen, lebendigen, außerweltchen Gott glaube oder nicht, ist ganz gleichgültig. Ich habe zwar von meinem Glauben die Autorität keines Religionsstifters anzuführen; aber wohl die Autorität von Spinoza bis Hegel, mit denen ich gerne zusammen verdammt und selig werden will. Ich habe das ganze Bewusstsein der Gegenwart für mich, das mit größter oder geringerer Klarheit über jeden Glauben hinausdrängt; und gewiss die Überzeugung vieler meiner Richter, welche Religion nur zu Staatszwecken dressieren. Ich nehme das Recht in Anspruch, auf ‚meine Façon‘ selig zu werden, mich auf meine Art mit dem Weltall zu vermitteln; ein Recht, das sind Frauen so gut zusteht, wie den Männern.“

 

Nach ihrer Ausweisung binnen acht Tagen aus Berlin schreibt Louise Aston in der damals noch selbstständigen Gemeinde Köpenick drei Romane, die 1847-1849 erscheinen. Verkleidet und illegal kehrt sie zwischendurch immer wieder nach Berlin zurück.

 

1848 nahm sie als Freischärlerin an den revolutionären Bewegungen in Schleswig-Holstein, wie auch an den Barrikadenkämpfen in Berlin teil. Gleichzeitig gab sie die agitatorische Zeitschrift Der Freischärler. Für Kunst und sociales Leben heraus.

 

Das Scheitern der Revolution beschrieb sie dann in ihrem Roman Revolution und Contrerevolution (1849) und in ihrer Gedichtsammlung Freischärler-Remiscenzen (1850):

 

In Potsdam

 

Vom Dome hallen Glockenklänge -

Stille Andacht überall,

Gläubig singt des Volkes Menge

Zu der Orgel hellem Schall;

Dort in einsamer Kapelle

An des Altars heilger Schwelle

Knie'n die Allerhöchsten Sünder,

Gottes auserwählte Kinder.

 

Was sie beten, was sie flehen?

Ihre bleiche Lippe spricht:

»Jetzt, da wir am Abgrund stehen,

Jetzt - nur jetzt verlaß' uns nicht!

Unser Purpur will erbleichen,

Unsre Macht zerfällt in Scherben:

Lass' mit Blute sonder Gleichen

Uns den Purpur wieder färben!

 

Mögen sie zum Himmel beten

Und mit neu gestärktem Muth

Eines Volkes Recht zertreten,

Pochend auf des Höchsten Huth:

Taub und schwach sind ihre Götter,

Taugen nur zum Spiel der Spötter;

Doch der Geist, der ewig freie,

Gibt dem Volk die Siegesweihe!

(Aus: Freischärler-Remiscenzen)

 

Nach ihrer erneuten Ausweisung aus Berlin heiratete Louise Aston 1850 den Bremer Arzt Daniel Eduard Meier (1812-1873). Meier wird wegen seines eigenen radikaldemokratischen Engagements, aber auch wegen der Vergangenheit seiner Frau, aus Bremen ausgewiesen. Die beiden verlassen Deutschland und durchziehen Russland, leben in Odessa, Polen, Österreich, Ungarn und Siebenbürgen. Verarmt kehrten sie 1871 zurück nach Wangen im Allgäu, wo Louise am 21.12.1871 starb.

 

Astons Leben und Werk war auch in ihrer zeitgenössischen Frauenbewegung umstritten. Selbst eine Kämpfernatur wie Louise Otto-Peters, weist jede Gemeinsamkeit mit ihr entschieden zurück. Sie war der Meinung, ihr „unsittlicher“ Lebenswandel schade der Sache der Frauen und ihrem Kampf um Teilnahme am öffentlichen Leben. Dagegen verteidigte Mathilda Franziska Anneke Louise Aston in ihrer Flugschrift Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen. Erst Veröffentlichung im Rahmen des modernen Feminismus ließen wieder Interesse am Werk Louise Astons erkennen.

 

Werke:

Wilde Rosen (Gedichtband, Berlin 1846); Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung (Brüssel 1846); Aus dem Leben einer Frau (autobiographischer Roman 1847); Lydia (1848); Der Freischärler, Nr. 1-7,1849); Revolution und Contrerevolution (Roman, Mannheim 1849); Freischärler-Reminiscencen (Leipzig 1850).

Literatur: Germaine Goetzinger: Für die Selbstverwirklichung der Frau. Louise Aston in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (Frankfurt/M. 1983); Wimmer, Barabara: Die Vormärzschriftstellerin Louise Aston. Selbst- und Zeiterfahrug (Frankfurt/M. 1993).

[1] „Lichtfreunde“ (ursprüngl. „Verein der Protestantischen Freunde“) um den ehemaligen evangelischen Pfarrern Gustav Wislicenus (1803-1875) und Leberecht Uhlich (1799-1872) waren dissidentische antiklerikale Zusammenschlüsse ehemalige Christen und einiger Juden, die aufklärerisch wirkten und eigene Kulturarbeit leisteten. Zusammen mit den katholischen Dissidenten der „deutschkatholischen Bewegung“ um den exkommunizierten ehemaligen katholischen Pfarrer Johannes Ronge (1813-1887) und dem revolutionären Politiker Robert Blum (1807-1843) bildeten sie in der Vormärzzeit Freie Gemeinden mit zusammen bis zu 150.000 Anhängern. Zahlreiche Revolutionäre der 1848/49-Revolution („Revolution der freien Geister“) waren Religionskritiker und Mitglieder der genannten Freien Gemeinden. Nach der Niederschlagung der Revolution wurden diese verfolgt. Nach einem Mitgliederrückgang schlossen sich die meisten Freien Gemeinden 1859 zum Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands zusammen.

[2] „Die Freien“ waren seit 1841 ein Debattierzirkel oppositioneller (liberale und sozialistische) linkshegelianischer Philosophen und Publizisten, die im Sinn der Aufklärung Religionskritik übten. In Berlin gehörten dazu Bruno Bauer, Edgar Bauer, Max Stirner, Ludwig Buhl, Julius Faucher u.a. und zu verschiedenen Zeiten kurzfristig Karl Marx und später Friedrich Engels.

[3] Der Schriftsteller Otto von Corvin-Wiersbitzki (1810-1888) war ehemaliger Offizier und Redakteur. Als Freidenker schloss er sich liberaldemokratischen und antiklerikalen Kreisen an und verfasste 1845 das weltberühmte Buch Historische Denkmale des christlichen Fanatismus (ab 18991 bekannt als Pfaffenspiegel). Er kämpfte in der Revolution 1848/49, war Ausbilder und Kommandant der Deutschen Demokratischen Legion in der Badischen Revolution 1849. Zuerst zum Tod verurteilt und dann nach sechs Jahren Einzelhaft in Bruchsal, emigrierte er nach England und nach den USA, wurde Sonderberichterstatter vom Bürgerkrieg und später wieder als Journalist in Europa tätig.

 

 

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